First Reformed kritik - zwischen selbstreflexion und langatmigkeit

1976 führte uns Drehbuchautor Paul Schrader in Taxi Driver durch die Persönlichkeit eines gebrochenen Veteranen und zeigte uns damit einen zynischen Blick auf das menschliche Wesen. Einen ähnlichen Ansatz wählt auch der 2018 in Amerika gestartete Film First Reformed und erhielt dafür auch prompt eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch. Doch anders als in Taxi Driver  führt diesmal nicht Martin Scorsese, sondern Schrader selbst Regie. Ob die Nominierung gerechtfertigt ist und warum First Reformed so häufig als Oscar Snub betitelt wird, möchte ich in dieser Kritik genauer ergründen.

Der Film handelt von dem ehemaligen Militärpfarrer Ernst Toller (Ethan Hawke), welcher sich, nach dem Tod seines Sohnes, in einer kleinen Gemeinde als Pfarrer engagiert. Dort lernt er die schwangere Mary (Amanda Seyfried) und ihren Mann/ leidenschaftlichen Aktivisten Michael (Philip Ettinger) kennen, welcher in ihm zum ersten Mal ein Bewusstsein für die Erderwärmung schafft. In den folgenden Tagen beginnt sowohl sein Bild auf die Kirche, als auch das auf sich und die Gesellschaft langsam zu verblassen und der Kampf gegen seine inneren Dämonen wird immer auswegloser.

Diese Charakterstudie zieht sich sehr ruhig und bedacht durch die 118 Minuten Laufzeit, wobei sie zum einen sehr genau, zum anderen aber auch relativ zäh an den Zuschauer herangetragen wird. So gut wie jede Szene schlägt einen zynischen Ton an und bietet somit einen immer tieferen Einblick in die gebrochene Seele des Pfarrers. Dabei wird den Szenen auch sehr viel Zeit gegeben, um sich zu entfalten. Doch genau dies sorgt auch dafür, dass sich die gesamte Handlung nur schleppend fort bewegt und die Konzentrationsfähigkeit hier und da gefordert wird.

 

Hinzu kommt, dass Schnitte sehr bedacht eingesetzt sind und auf Musik größtenteils verzichtet wird. Somit kann jede Szene einzeln auf den Zuschauer wirken und ihm wird die Freiheit gelassen seine eigenen Gefühle zu bilden. Diese Freiheit entfacht ihr volles Potenzial schließlich im Finale, welches je nach Interpretation pessimistisch oder hoffnungsvoll ausgelegt werden kann.

Die Musik die eingesetzt wird, besteht überwiegend aus Chorgesang, Orgeltönen oder aus einem bedrückendem Dröhnen, welches vor allem zur Betonung des thematisierten Elends dient. Dieses Elend reduziert sich allerdings nicht nur auf den Verlust des Sohnes, sondern ist deutlich weiter aufgefächert. Vielleicht sogar etwas zu weit, denn es wirkt so, als hätte man die beliebtesten Bürden von gebrochenen Filmcharakteren genommen und auf eine Schulter gepackt. Allerdings ist die Summe der Lasten auf seiner Schulter ausschlaggebend dafür, dass Ernst Toller (spätestens durch das Dilemma der Erderwärmung) unter diesen zusammenbricht. Hiermit kommt auch die größte Sozialkritik des Films zum Ausdruck. Eine Kritik an unsere Gesellschaft, die leider nicht ansatzweise so subtil eingestreut wird, wie es in Taxi Driver der Fall war. Im Gegenteil: Sie wird einem an manchen Stellen regelrecht mit dem Stempel aufgedrückt. Auch wenn die Thematik durchaus zu kritisieren ist und auch kritisiert werden MUSS, wäre es auch wesentlich subtiler gegangen.

Auch in der Inszenierung wählt Schrader einige interessante Ansätze. Er entscheidet sich beispielsweise für ein Seitenverhältnis von 4:3, wodurch das Bild durch die Schwarzen Balken an den Seiten regelrecht eingeengt wird. Das erzeugt auch beim Schauen ein Gefühl des Beklemmens und sorgt dafür, dass die Protagonisten hauptsächlich im Zentrum des Bilds agieren. Es hebt also den Charakter getriebenen, beklemmenden Ton der Handlung noch weiter hervor. Dieser Ton spiegelt sich auch in den Farben wider. Diese sind sehr kühl und werden oft durch das Schwarz der Schatten dominiert. Insgesamt wirkt alles eher beobachtend und realitätsnah. Da passt es dann auch, dass die Kamera auch nicht vor harten Szenen zurückschreckt. Von körperlicher Härte gibt es während des gesamten Films zwar lediglich zwei Einstellungen, diese zeigen durch ihre Schonungslosigkeit und Kälte aber ihre volle Wirkung. Die Altersfreigabe von FSK 12 ist in meinen Augen noch sehr großzügig gewählt...

Vor allem, wenn man die psychische Komponente mit einbezieht. Diese gewinnt durch das subtile aber passende Schauspiel von Ethan Hawke zudem einiges an Ausdruck dazu, auch wenn Ernst Toller am Ende nicht so einprägsam ist, wie Travis oder Ryan Goslings Figur in Drive. Am Gegenpol gelingt es Amanda Seyfried den Spagat zwischen Frust und Hoffnung überzeugend zu vermitteln. Mit dem Komiker Cedric the Entertainer bringt die Figur Pastor Jeffers etwas Wärme in die sonst so trostlose Stimmung. Wer jedoch nach einem gewaltigen Schauspiel-Feuerwerk Ausschau hält, sucht hier vermutlich vergebens. Dafür rettet die Interaktion zwischen den einzelnen Figuren die Handlung davor zu langatmig vor sich herzuschleifen.

Abschließend lässt sich wohl festhalten, dass First Reformed in vielen Elementen an Taxi Driver erinnert. Er ist ebenso ruhig erzählt, zynisch und bietet ein ähnlich interpretationsoffenes Ende wie Scorseses Klassiker, ohne jedoch ganz an seinen geistigen großen Bruder heranzukommen. Wer sich aber auf eine behutsame, getrübte Charakterstudie einlassen kann und nicht vor Selbstreflexion zurückschreckt, dem sei mit First Reformed eine klare Empfehlung ausgesprochen. Alle anderen sollten lieber einen Bogen um dieses Werk machen.

 

Bewertung: 6/10


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